Nachdem wir Delhi gesehen und unsere ersten Schritte in Indien gemeistert haben, waren wir auf dem Weg nach Amritsar, was die religiöse Hauptstadt und wichtigste Pilgerstätte der Sikh Religion ist. Wir haben schon vor der Reise Bilder des Goldenen Tempels gesehen und beschlossen, dass dieser Ort auf unserer Reise durch Indien nicht fehlen darf. Da wussten wir aber noch nicht, dass der Besuch mit einer 6,5 stündigen Zugreise verbunden ist und dass Zugbuchungen in Indien nun mal etwas anders funktionieren als in anderen Ländern und somit Potenzial für nervenaufreibende Abende bieten, aber das ist eine andere Geschichte 😀
Unvorbereitet und unwissend wie wir sind, haben wir für die lange Zugfahrt Snacks und Wasser eingekauft (bei einer 6,5 stündigen Fahrt besteht ja auch akutes Risiko zu verhungern!) – Da wussten wir noch nicht, dass uns im Zug ein 5-Gänge Menü inklusive Wasser und Tee erwartet. Der Zug war nicht nur komfortabel, sondern auch noch pünktlich und das Essen konnte jedes Flugzeugessen locker abhängen.
Als wir in Amritsar ankamen, hatten wir natürlich sofort die Aufmerksamkeit der Taxi und Tuk Tuk Fahrer. Nach kurzen Verhandlungen, brachte uns das Tuk Tuk in eine schlecht beleuchtete Straße, wo wir die auf dem Boden schlafende Rezeptionscrew wecken mussten, um in unser Hotel zu kommen. Den Raum, der uns zugewiesen wurde ein Zimmer zu nennen wäre eine dreiste Übertreibung, denn es war nicht mehr als eine Schuhbox ohne Fenster und mit einer tropfenden Dusche (was sich auf dem kleinen Raum bemerkbar macht). Um die Stimmung etwas aufzuhellen, hat die Rezeptionsmannschaft mitten in der Nacht Musik angemacht, die sich durchs ganze Haus verbreitet hat da die Wände wie aus dünnem Papier waren. Aber die konnten ja nicht wissen, dass wir mit Michaels Geschnarche eine wirksame Gegenbeschallung aufbieten konnten 😀 Aber die Spitze des Eisbergs war die Tatsache, dass wir bei der Buchung übersehen haben, dass die Hauptstrecke der Eisenbahn direkt hinter dem Haus verläuft. Jedes Mal wenn ein Zug vorbei fuhr, bebte das ganze Hotel und wir waren wieder wach. Gut, dass wir Ohropax dabei haben, die nicht nur Michaels Geschnarche lindern, sondern in diesem Fall auch die Zuggeräusche. Nachdem wir gesehen haben, dass die Betten auch noch total schmutzig sind, haben wir uns für den nächsten Tag eine neue Unterkunft organisiert und sind todmüde in unseren Seidenschlafsäcken (sehr empfehlenswert für Orte an denen man nicht ohne eine Zwischenschicht schlafen möchte) eingeschlafen. Nach einer ziemlich schlaflosen Nacht sind wir früh raus und auf direktem Weg zu unserer neuen Unterkunft.
In der neuen Wohnung sind wir von unserem neuen Gastgeber Rajdeep wärmstens empfangen worden. Die Wohnung liegt in Laufentfernung vom Goldenen Tempel und hat einen hervorragenden Ausblick auf den Jallianwala Bagh direkt hinter dem Haus. Rajdeep zeigte uns unsere Etage mit zwei Zimmern, die wir beide nutzen könnten und machte uns Frühstück – genau das richtige nach dieser Nacht. Später war Rajdeep sehr hilfreich mit Empfehlungen, was wir uns angucken könnten und was angemessene Preise sind. Eine der Attraktionen, die in Amritsar angeboten werden ist eine Militärparade an der Grenze zwischen Indien und Pakistan – als wir fragten, wie wir den Besuch buchen können, musste Rajdeep schmunzeln und sagt „Die werden euch schon finden“ und er hatte sooo Recht 😀
Im Gegensatz zu Delhi, ist die Innenstadt von Amritsar für konventionelle Fahrzeuge gesperrt und so kommt man nur mit elektrischen Rikschas voran – sehr angenehm leise 🙂 Der Kern um den Tempel herum ist sogar Fußgängerzone, man kommt sich vor wie irgendwo in Europa! Das alles führt dazu, dass die Zahl der Leute, die einem etwas andrehen wollen deutlich kleiner und die Atmosphäre deutlich entspannter ist. Und dennoch waren die Horden von Leuten, die “wagahbodah wagabodah wagabodaah” vor sich hingemurmelt haben nicht zu übersehen. Wir suchten uns also einen aus, der halbwegs vertrauenswürdig erschien und buchten den Trip zur Grenze für den Nachmittag. Da wir vor der Abfahrt noch genug Zeit hatten, haben wir sie genutzt um den Goldenen Tempel bei Tageslicht zu sehen. Der ganze Besuch ist nicht nur bestens organisiert inkl. einer Aufbewahrungsstelle für Schuhe und speziellen Rattan Wegen durch das Gelände, sondern wird auch von den Händlern respektiert so dass man auf dem Gelände des Tempels überhaupt nicht mehr belästigt wird und man die Schönheit dieses Ortes ungestört genießen kann.
Der Tempel ist umgeben von weißen Gebäuden mit eindrucksvollen Keramikkuppeln, wenn man aber den Hof betritt, wandert der Blick unweigerlich auf den Goldenen Tempel in der Mitte eines künstlichen Sees (oder in der Mitte des heiligen Flusses, der mit dem Nektar der Unsterblichkeit gefüllt ist). Das Verhalten der Besucher und der Singsang der Gebete, die aus den Boxen übertragen werden lassen einen die Wichtigkeit dieses Ortes verstehen und sehen, wie tief der Glaube dieser Menschen ist. Der einzige andere Ort, wo wir etwas Ähnliches gesehen haben war die Grabeskirhe in Jerusalem. Es war fast schon eigenartig, dass wir obwohl offensichtlich keine Sikhs, trotzdem absolut willkommen waren und die Menschen angehalten haben, um uns bestimmte Artefakte und ihre Funktion zu erklären. Die Freundlichkeit und Gelassenheit dieses Ortes war einfach atemberaubend.
Nach diesem spirituellen Erlebnis gingen wir nun zum Kontrasprogramm über – “wagah border”. Die 35km bis zur Grenze fuhren wir in einem mit 12 Leuten völlig überfüllten Minibus. Als wir aus dem Bus ausstiegen, stand auf den Schildern „Lahore – 25km“ – nur einen Tag vorher gab es in Lahore ein Attentat mit einigen Toten, was uns kurzzeitig einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Die eigentliche Zeremonie war eine komische Mischung aus Party und Militärparade. Grenzschützer auf beiden Seiten der Grenze tragen lustige / formelle Uniformen und Bärte und führen eine Art Tanz vor, der die Rivalität und Brüderlichkeit beider Länder symbolisieren soll. Wir waren etwas überrascht, dass so viele Locals da waren (wir dachten eigentlich, es wäre ein Touri-nepp) und die haben ordentlich Stimmung gemacht! Sie sahen es wohl als ihre patriotische Pflicht, die jeweils eigenen Soldaten möglichst laut zu unterstützen. Man muss sich ein Gebilde ähnlich einem Stadion vorstellen, das direkt am Grenzübergang steht und jeden Tag (!!!) rappelvoll mit Besuchern ist… einfach verrückt!
Am Abend mussten wir einfach zurück zum Goldenen Tempel und nochmal die Atmosphäre auf uns wirken lassen. Obwohl Stative auf dem Gelände des Tempels nicht erlaubt sind (wie bei allen Sehenswürdigkeiten in Indien), haben wir ein Paar wirklich beeindruckende Bilder hinbekommen. Als wir schon fast auf dem Weg nach Draußen waren, haben wir ein sehr adrett gekleidetes Paar gesehen und haben sie gefragt, ob wir ein Foto von ihnen machen dürfen. Es stellte sich heraus, dass sie an diesem Tag geheiratet haben und extra für ihre Hochzeit aus Australien nach Amritsar gekommen sind – also versprachen wir ihnen die Fotos als kleines Geschenk zu ihrer Hochzeit. Ein anderer Herr, der sich erst mit dem Paar unterhalten hat, hat uns gefragt, ob er ein Foto mit uns haben kann, was dazu führte, dass er uns in den Tempel eingeladen hat und uns die Zeremonie erklärt hat – und so waren wir als einzige Westler dabei als der Tempel für die Nacht vorbereitet wurde 🙂
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